Gras sprießt in den Sandkästen …
Mit dem Bus durch die Konversionsflächen

von Hans-Jürgen Fuchs

60 Bürgerinnen und Bürger durften mitkommen. In dem bereitgestellten Doppeldeckerbus saßen zusätzlich 19 Vertreter der Presse der Stadt Heidelberg und der BIMA. D.h. letztere, die Vertreter der BIMA saßen zunächst noch nicht im Bus. Einigermaßen pünktlich waren alle anderen eingestiegen und saßen nun bei laufendem Dieselmotor im klimaanlagengekühlten Fahrzeug. Doch dann wurde der Motor abgestellt und damit auch die kühle Brise. Die Vertreter der BIMA seien noch nicht angekommen, hieß es.

Und so saßen wir und warteten. Im Bus wurde es immer wärmer und wir überlegen bereits ob das eine besonders raffinierte Methode der BIMA ist, uns vor der Fahrt weich zu kochen.

Endlich kamen die Herren und es ging los. Zunächst fuhren wir in die Südstadt, Mark-Twain-Village (MTV). Hier bekamen wir Gelegenheit, uns die älteren Gebäude der Amerikaner in Heidelberg anzusehen. Die Häuser sind Mitte der Fünfzigerjahre gebaut und wurden nach Aussagen von Frau Thomas, Abteilungsleiterin Housing in der US Armee, und Harry Connors, Government Relations Adviser (so eine Art persönlicher Berater des Kommandierenden) regelmäßig renoviert. Die Fassaden wurden wärmegedämmt. Und nach Aussagen von Connors gibt es in keinem der Häuser Asbest oder Ähnliches. Die amerikanische Armee habe immer die Gesetze angewendet, die die weitergehenden seien, im Falle der Asbeststoffe das EU-Recht.

Zu den Wohnungen: diese sind zwischen 1956 und 1958 gebaut. Die meisten Wohnungen liegen im westlichen Teil des Geländes. Der Zustand der Wohnungen ist nach den Worten eines BIMA Vertreters "mittelprächtig". Wenn man das Treppenhaus betritt, hat man das Gefühl einer Reise in die fünfziger Jahre. Die Wohnungen selbst sind relativ groß. Sie haben zwischen 104 und 136 m². Amerikaner zählen die Schlafzimmer. So gibt es Wohnungen mit 2, 3 oder mit 4 Schlafzimmern. Ältere Häuser erkennt man an den Dachgauben. In diesen kleinen Zimmern waren Dienstmädchen untergebracht. Das war zu einer Zeit, so Connors, als der US-Dollar noch vier DM wert war. Später hatte man kein Geld mehr für Dienstmädchen - und keine Gauben mehr. Die besichtigten Wohnungen waren bereits leergeräumt der Zustand ist relativ gut, aber einfach.

Interessant die Einblicke in die amerikanische Wohnweise, die uns teilweise fremd ist. Wenn man die Wohnungen betritt, steht man unvermittelt im großen Wohnzimmer, das einen breiten Übergang ins Esszimmer hat, an das sich der Kochbereich anschließt. Wenn man amerikanische Familien besucht, steht man also praktisch flurlos mit den Stiefeln sofort im Wohnzimmer. Im Anschluss an das Wohnzimmer folgt ein schmaler Flur, von dem die Schlafzimmer und das Bad abgehen. Dieser hintere Bereich der Wohnung wirkt im Vergleich zum großen Wohnzimmer dunkel und klein.Alle Wohnungen haben Einbauküchen, und Einbauschränke und eine Stromversorgung nach amerikanischer und europäischer Norm. Und, ehe ich es vergesse: alle Wohnungen haben Parkettböden. Das ist ein Fakt, der immer wieder in Interviews und in der Presse hervorgehoben wird. Warum auch immer. Also schreibe ich es halt auch ...

An manchen Stellen fanden sich noch Zeugnisse der ehemaligen Bewohner. Die Decken zierten Ventilatoren. Und in der Küche stand ein Kühlschrank, der so groß war, dass einem unwillkürlich das Adjektiv "begehbar" in den Sinn kommt. Im Keller gibt es Räume mit Waschmaschinen, die für unsere Verhältnisse für 21 Personenhaushalt ausreichend wären, die Waschmaschinen, nicht die Räume. Auch die Wäschetrockner hatten eine Größe, dass ein mittlerer Wolfshund darin getrocknet werden könnte. Allerdings gibt es sicher irgendwo eine Gebrauchsanleitung, die das verhindert. Denn sonst würde sofort die Herstellerfirma verklagt werden, wenn das Tier Schaden nimmt.

Neben den größeren Wohnungen, konnten wir auch eine Soldatenwohnungen in einem Kasernengebäude besichtigen. In diesen "One plus One" genannten Wohnungen teilen sich je zwei Soldaten ein Bad. Die beiden Zimmer sind je circa 12 m² groß. Und man gelangt in sie, indem man einen bis zur Decke gekachelten Hausflur durchschreitet. Die Szenerie macht klar, dass man sich hier in raueren Gefilden befindet.

Die Gebäude in MTV werden nach Aussagen von Connors mit Fernwärme beheizt. Das Wasser komme von den Heidelberger Wasserwerken, werde aber von der Armee nochmals gereinigt. Der Zaun, der seit 9/11 das gesamte Gelände umschließt, habe die Lebensbedingungen entscheidend verändert. Vor seinem Bau hätten viele Amerikaner Beziehungen zur Nachbarschaft unterhalten. Viele Kinder aus deutschen Familien seien auf das Gelände zu den Spielplätzen gekommen. Doch dann habe "Washington" den Bau des Zaunes befohlen. In Heidelberg selbst habe man dem Ganzen skeptisch gegenüber gestanden und in den ersten 18 Monaten habe man den Zaun für Kinder sogar offen gehalten. Dann sei man aber "erwischt" worden und habe die Schlupflöcher schließen müssen.

Weiter ging es nach Patrick Henry Village (PHV), das noch nahezu vollständig bewohnt ist. Die Umzugsautos, die hier standen, brachten Möbel aus MTV ins Patrick Henry Village. PHV ist eine Kleinstadt, mit allem was man braucht. Hier gibt es zwei Schulen, ein Einkaufszentrum, eine Bowlingshalle, Sportplätze und so weiter. Und es gibt Wohnungen mit fünf Schlafzimmern, die sehr begehrt und alle belegt sind. Im Anschluss an Wohnblocks, findet man die "Villen" genannten Gebäude für die höheren Dienstgrade. Dabei handelt es sich um 64 Oberst- und 20 Generalshäuser, freistehende Häuser mit circa 160 m² Wohnfläche und einem grünen Bereich außen herum. Alles sieht aus als habe man es direkt aus einer amerikanischen Vorstadt nach Heidelberg importiert.

In PHV gibt es wenig Gebäude mit Balkonen. Und auf den Balkonen ist das Grillen untersagt. Und auch das Rauchen. Rauchen darf man überhaupt nur in mindestens 15 m Entfernung von einem Gebäude. Das könnte man mal versuchen, in der unteren Straße durchzusetzen. Hier gibt es sogar einige Gebäude, die gänzlich rauch- und Tierfrei sind - für Menschen mit Allergien. Andererseits hat man in PHV auch einen speziellen dog walking path - bei uns würde man Hundekackweg sagen.

Auffällig hier, aber auch in der Südstadt, dass in den Wohnvierteln Kinder und Fußgänger absolute Priorität haben. In MTV fährt man alle paar Meter über so genannte "speed bumbs", auf Deutsch "Flic Couches". Also so Holperdinger, dass man langsam fahren muss. Und in PHV stehen an jeder Kreuzung Stoppsschilder. Hier muss man anhalten, auch wenn kein Auto kommt. Denn diese Stoppschilder schützen Fußgänger und Schulkinder. An allen Kreuzungsein- und -ausfahrten sind deshalb auch Zebrastreifen angebracht. Und nach Aussagen unserer Begleiter, achtet die amerikanische Polizei strikt auf die Einhaltung dieser Halteregelung, auch wenn weit und breit niemand zu sehen ist.

Kommentar

Wenn ich versuchen soll, meine Eindrücke zusammen zu fassen, dann erscheinen mir vor allem folgende Punkte wichtig:

Zuschnitt und Zustand der Wohnungen: Trotz aller Hinweise auf regelmäßige das Renovierungsmaßnahmen durch die Amerikaner dürfen wir uns nichts vormachen: die meisten Wohnungen in MTV und die viele in PHV haben keinen hohen Standard und sind zudem sehr uniform. Befürchtungen, ein Freiwerden und nahezu unverändertes Neuvermieten dieser Wohnung könnte dazu führen, dass Mieter aus weniger beliebten Wohngegenden in diese Wohnungen wechseln, und damit den dort bereits teilweise bestehenden Leerstand verstärken, sind also nicht von der Hand zu weisen. Die Uniformität könnte aber auch zum Problem für das neue Wohngebiet werden. Es sei denn, es gelänge, Vielfalt und Buntheit z. B. über unterschiedliche Wohnformen und möglicherweise auch bauliche Veränderungen zu erreichen.

Schneller Handlungsbedarf: der östliche Teil von MTV steht bereits zu großen Teilen leer. In den Sandkästen der Spielplätze beginnt das Gras zu sprießen. Nach dem endgültigen Abzug im September diesen Jahres werden die US-Streitkräfte das Gebiet sicher nicht weiter bewachen und der Druck der BIMA, eine schnelle Lösung zu erreichen wird enorm wachsen. Auch der MTV-Bereich westlich der Römerstraße soll bereits 2013 geräumt sein. Die verbleibenden Amerikaner werden dann im PHV leben.

Für die Südstadt und Rohrbach hat dies ernste Konsequenzen. Der von der Stadt vorgesehene Zeitrahmen für den sogenannten dialogischen Planungsprozess sieht eine Realisierung erst ab 2014 vor. So lange kann in MTV nicht gewartet werden, ohne dass die Substanz der Gebiete Schaden nimmt. In den offiziellen Verlautbarungen klingt es zwar unverändert so, als könne man bei den geplanten Abläufen bleiben, doch denke ich, dass auch die Verantwortlichen die Signale hören und sich bereits ihre Gedanken machen. Bleibt zu hoffen, dass sie diese Überlegungen rechtzeitig auch in die dafür eingerichteten Gremien, wie den Entwicklungsbeirat, einbringen und diesen beteiligen werden. Meines Erachtens ist es zudem höchste Zeit, nun auch die Anwohner der betroffenen Gebiete mit einzubeziehen und zumindest für MTV gemeinsam mit den Anwohnern mit konkreten Überlegungen zu beginnen.

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