Licht am Ende des Bermuda-Dreiecks

retro 2002 - der »punker«-Jahresrückblick

(Januar 2003)

Von Hans-Jürgen Fuchs

Ein Jahr ist vorüber gegangen – Zeit für Rückblicke allüberall. Blicken wir also auch »punker«-mäßig zurück auf das, was uns vor Ort in Rohrbach beschäftigt hat, sehen wir uns das vergangene Jahr 2002 "aus der Distanz" an.

MGs und Zäune in Südstadt und Nord-Rohrbach

Begonnen hatte es zurückhaltender als andere Jahre, gedämpfter. Denn die Erinnerung an den 11. September war noch frisch. Und wer, wie wir, am Rande der amerikanischen Wohnsiedlungen am Hauptquartier Silvester feierte, der bekam schon ab und an ein mulmiges Gefühl, wenn die schweren, voll besetzten Mannschaftswagen vorbeifuhren um die Straßen zu sichern, die Soldaten mir ihren MGs, den Finger am Abzug.
Für die Menschen in der Südstadt und im Rohrbacher Norden wird auch das nächste Jahr wieder Erinnerungen an die Anschläge in New York wachrufen. Die Army wird meterhohe Zäune bauen, um ihre Angehörigen zu schützen. Und jene, die vor den Zäunen leben, genauso wie jene dahinter, werden immer wieder daran erinnert werden, dass New York um die Ecke liegt – und Bagdad ebenso.

Gefühltes

Beinahe hätte unter der Nach-September-Stimmung sogar die Aufmerksamkeit für die Einführung der neuen Währung gelitten. Der Euro kam und wurde ziemlich schnell zum "gefühlten Teuro". Und damit quasi zum Bruder der "gefühlten Temperatur": Der eine wie die andere sind so wie sie sind – jedoch immer anders als das, was sich messen läßt…
Der Teuro ist natürlich auch in Rohrbach anzutreffen. Die Apfelsaft-Schöllsche kosten heutzutage schon mal dreifünfzig. Euro versteht sich, keine DM. Und ein Gläschen Wein im Winzerort? Auch dreifünfzig. Mindestens! Vielen ist da die Lust am Ausgehen vergangen. Und das Wehklagen über den Gästerückgang ist groß. Dabei könnte man mit einer Aktion "Preise wie im Frühjahr 2001" den Trend ganz schnell umdrehen
Außer dem "gefühlten Teuro" und der "gefühlten Temperatur" gibt es natürlich auch eine "gefühlte Zeit". Das ist jene, die immer viel zu schnell vergeht. Und deshalb ist ja nun auch schon wieder ein Jahr vorbei. Zurück also zum Rückblick auf 2002.

Ein Licht in der Dunkelheit

»punker« begannen das Jahr 2002 mit einem Konzert. Am 13. Januar hieß es erstmals "Licht in der Dunkelheit" mit Martinique in der Melanchton-Kirche. Martina Baumann und Uwe Loda gaben ein Benefitzkonzert, das die Kirche füllte, Sinne und Herzen erfreute und "nebenbei" noch 600 Euro einbrachte für Kinder von Asylbewerbern im Bosseldorn.

Martina Baumann und Uwe Loda

Zwischen Geschichte und Märklin

Das zweite »punker« Highlight des Jahres 2002 war die Veranstaltung zur Heinrich Fuchs Waggonfabrik. Der Einladung in die Traube waren am 31. Januar eine Menge Leute gefolgt. Es kamen so viele, dass die Stühle kaum reichten. Und es kamen sehr unterschiedliche Menschen: an Heimatgeschichte interessierte, Technik faszinierte, Eisenbahnfreaks und Punkerfans. Eine spannende Veranstaltung, die auch richtig Schlagzeilen machte.

Der Himmel meinte es gut

Am 9. Juni meinte es der Himmel gut mit den »punkern«. Beim zweiten Versuch des 1. Allgemeinen Rohrbacher Stadtteilfrühstücks, bei angenehmen Temperaturen, füllte sich der Rathausplatz in kurzer Zeit. Untermalt wurde die Veranstaltung von einer dreiköpfigen Jazzband um Raphael Messmer, die als mit frühstückende Anwohner ganz spontan Sonntagmorgenmusik am Brunnen zu Gehör brachten und gebührend dafür beklatscht wurden.

Blick auf den Platz

Die Aktion des Jahres

Die Aktion des Jahres aber war für mich die Verlegung des Wochenmarktes. Den Markt ins Rohrbacher Zentrum zu holen, das wäre eine feine Sache, dachten wir uns. Das würde Lebendigkeit bringen, wäre attraktiv für die Menschen und hätte für die Geschäfte vor Ort ebenfalls positive Wirkungen. Erstmals zogen in dieser Sache »punker«, Stadtteil- und Gewerbeverein an einem Strang. Mit Erfolg. Nach kurzer, intensiver Arbeit vor allem von »punker« Thomas Kochan konnte der Neue Markt in Rohrbach am 29. Juni eröffnet werden. OB und Presse würdigten das Ereignis gebührend, einzig der Kerweborschd Gustav Knauber vergaß den »punker« in seiner "Kerweredd" und nannte die Marktverlegung einen Erfolg der Arbeit allein von Stadtteilverein und Gewerbeverein. Da kann man nur sagen: "Mein lieber Borscht, erst informieren, dann reimen"!

Tanz auf dem Wochenmarkt

Projekt 04

Im Oktober stand die nächste Veranstaltung an. Stadtteilverein, Gewerbeverein und »punker« luden zu einer Infoveranstaltung zum Thema Rohrbach Markt in die Traube ein. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde unser Konzept für eine Umgestaltung dieses neuralgischen Punktes in Rohrbach. Uwe Bellm, der dieses Feder führend entwickelt hat betonte, dass ohne eine Herausnahme des Durchgangsverkehrs keine Lösung der Probleme am Rohrbach Markt zu erreichen wäre. Das Konzept sieht deshalb vor, für den aus Süden kommenden Verkehr das rechts Abbiegen am Rohrbach Markt in die Karlsruher Straße zu unterbinden. Dadurch würde vor der "Rose"; ein Platz entstehen, der aufgepflastert werden könnte und als breite, sichere und angenehme Haltestelle der HSB den bisherigen unerträglichen Zustand beenden würde. Der gesamte Bereich zwischen Rohrbach Markt und der ARAL-Tankstelle würde neu gestaltet: Aufpflasterungen, Parkbuchten, viele Bäume, neue Beleuchtung und ein Fassadenförderprogramm. Man muss kein Prophet sein um zu sagen, dass Rohrbach Markt nicht nur für den »punker« das Thema 2003 und 2004 sein wird.

Verrenkungen für die Kunst

Ebenfalls im Oktober eröffnete die erste ratART. In den Schaufenstern in der Rohrbacher Rathausstraße wurden Gemälde präsentiert, so dass die Ausstellung den öffentlichen Bereich füllte und sich dem Besucher im Gehen von Laden zu Laden erschloss. Das Rohrbacher "Schaufenster der Kunst" zeigte Werke von Markus Daum. Die Ausstellung, die »punker« und Gewerbeverein gemeinsam auf die Beine stellten, fand ein gutes Echo – und wenig Käufer.
Bis die Bilder hingen, gab es manche Widrigkeiten zu überstehen. So verwehrte uns ein Antiqutätenhändlermitarbeiter die Gnade der Ausstellung, ein anderer Zahnladenbesitzer wollte das Bild lieber ins hinterste Eck stellen, als ins Schaufenster und eine Händlerin sah den Raum für ihre Auslagen so geschmälert, dass eine Teilnahme für sie nicht in Frage kam. Ja, und dann war da noch die Bäckerei-(ohne -fach-)-verkäuferin, die sich in Anwesenheit des Künstlers beim Abholen des Bildes zu einem erleichterten "Gott sei Dank!" durchrang. Auch hatte so manche(r) Ausstellende Probleme mit dem Oben und Unten der Bilder. So kam es, dass man Ausstellungsbesucher/innen mit mehr Gefühl für künstlerische Himmelsrichtungen bei interessanten Verrenkungen vor den Exponaten beobachtet konnte.
Die meisten Geschäfte in der Rathausstraße beteiligten sich gerne an der ratART, und integrierten die Bilder sehr liebevoll in die Schaufenster. Ob es allerdings eine zweite Ausstellung geben wird, steht in den Sternen. Viel Arbeit, wenig Lohn…

Eröffnung ratART

Standards...

Aber "Rohrbacher Leben 2002", das sind ja nicht nur Aktionen der »punker«. Andere trugen ebenfalls kräftig dazu bei, dass mehr Leben in Rohrbach herrschte. Sommertagszug, Kerwe, Martinszug, Osterbrunnenfest und Vorweihnachtlicher Markt, die Feste im Pfarrhof und bei den Gocklern, die diversen Weinfeste auf dem Dachsbuckel und dem Dormenacker … Wenn man wollte, konnte man im Frühling und Sommer jedes Wochenende woanders feiern.

...und specials

Neben diesen "Standards" darf nicht die 1. Rohrbacher Zeltrevue vergessen werden. Anlass waren "10 Jahre Förderverein" der Eichendorffschule. Und da, wo (außer an der Kerwe) normalerweise nichts ist, auf dem kahlen Bolzplatz, war für ein paar Tage Nix. Max Nix nämlich, die Rohrbacher Stimmungskanone. Und ein Zirkuszelt war da, eines, das so aussieht, wie ein Zirkuszelt aussehen sollte. Nix, bürgerlich Thomas Nigl, Erster Vorsitzender des Fördervereines führte durch ein buntes Programm voller akrobatischer und magischer Highlights ausgeführt von Kindern und Jugendlichen aus der Eichendorff-Schule. Nach 10 hatte immer noch niemand die Polizei alarmiert, sodass die Zeltrevue von alleine enden konnte. Wenn das kein gutes Omen ist!

Meta-physikalisches Löcher

Jetzt könnte der Eindruck entstehen, dass wir in Rohrbach immer nur feiern. Stimmt aber gar nicht. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, kümmern wir uns auch um andere Dinge. Wir halten die Augen und Ohren offen wenn im Stadtteil etwas vor sich geht. Und mischen uns ein, wenn es notwendig ist. So zum Beispiel, wenn sich mitten unter uns ein meta-physikalisches Loch auftut, ganze Parks verschlingend und mit Einträglicherem füllend. Gemeint ist jenes Bermuda-Dreieck, in dem zunächst der in Planungsworkshops geforderte Park verschwand und dem schließlich auch noch die öffentliche Mini-Ersatz-Freifläche zum Opfer fallen sollte, die die Oberbürgermeisterin in einem Brief fest zugesagt hatte. Bauherr Weigel vom Bethanien wusch als "Bermuda-1" die Hände in Nichtwissenheit, Diethelm Fichtner, Leiter des Stadtplanungsamtes als "Bermuda-2" in Unverbindlichkeit und schließlich Joachim Wieland von Hochtief als "Bermuda-3" in Unschuld. Wofür er am 11.11.2002 vom »punker« auch die Pappnase des Jahres 2002 verliehen bekam, stellvertretend für alle Ecken des Bermuda-Dreiecks. Massive Proteste u.a. im Bezirksbeirat retteten schließlich das versprochene Rohrbacher Eckchen – so richtig freuen konnte sich aber niemand darüber.

Bürgerbrücke beim Abriss

Abschied 2002: Die Bürgerbrücke ist abgerissen...

Zwei Neubeginne?

Freuen durften wir uns dagegen im Spätjahr über zwei andere Ereignisse. Zum einen wurde nach langen Jahren des Hin und Her endlich das Rohrbacher Seniorenzentrum eröffnet, als letztes in Heidelberg. Zum anderen fand ein Monate langer Zwangsaufenthalt ein Ende: Das Kirchenasyl der Familie Berisha in St. Thomas wurde nach fast einem dreiviertel Jahr durch eine befristete Duldung beendet. Berishas durften zurück nach Ziegelhausen. Aber nicht an ihre Arbeitsplätze. Als Geduldete dürfen sie nicht mehr arbeiten und müssen nun wieder von Sozialhilfe leben. Was man ihnen irgendwann wieder zum Vorwurf machen wird – die Logik soll einer verstehen…

Rathausstraßenperspektive

Liest man die Rhein-Neckar-Zeitung, dann findet Leben in Rohrbach, wenn überhaupt, nur im Blick in die Stadtteile statt. Wie man sieht, ist diese Hauptstraßenperspektive eine reichlich einseitige. Denn 2002 war ein wirklich Ereignis reiches Jahr im Heidelberger Süden. Und 2003 wird dem bestimmt in nichts nachstehen wollen. Wir werden uns nach Kräften daran beteiligen. Und wir werden weiter so schnell und so direkt wie möglich aus unserer Rathausstraßenperspektive heraus berichten…