Turnerstraße oder Törnerstreet?

Seit kurzem erscheinen in der RNZ in unregelmäßigen Abständen Beiträge, die die Herkunft von Heidelberger Straßennamen erläutern. Der Südstädter Bernd Schwöbel nahm dies zum Anlass, den Ursprung der Rohrbach-Südstädter Turnerstraße zu hinterfragen. Wir veröffentlichen seine im RNZ-Blog erschienenen Überlegungen mit herzlichem Dank an den Autor.

Ein Beitrag von Bernd Schwöbel

Mich freut die neue Serie der RNZ über die Heidelberger Straßen und Straßennamen. Ich würde mir aber etwas mehr Informationen wünschen darüber, warum gerade diese Straße gerade diesen Namen trägt - und vielleicht gibt es auch noch Wissenswertes aus der Geschichte der Straße? Ich zeige das mal an einem Beispiel. Am 26.8.2007 war das Thema der RNZ-Serie die Turnerstraße. Und wir erfuhren viel Wissenswertes über den Maler William Turner (sprich "Törner"). Danke für die interessanten Details. Aber warum trägt gerade diese Straße diesen Namen?

Die Straße wurde noch vor der Eingemeindung Rohrbachs nach Heidelberg angelegt. Sie begann am Rohrbacher Marktplatz und führte in der Ebene parallel zur Landstraße Richtung Norden. Wohngebiete, die noch in der Kaiserzeit konzipiert wurden, erkennt man teilweise noch heute an ihren Straßennamen. In ganz Deutschland tragen die Straßen aus dieser Zeit Namen wie "Kaiserstraße", "Wilhelmstraße", "Moltkestraße", "Bismarckstraße". In Heidelberg sind weite Gebiete von Neuenheim, das Rohrbacher Villenviertel, fast die gesamte Weststadt in dieser Zeit entstanden. So trug auch unsere Straße in Rohrbach einen derartigen Namen, sie wurde nach August Graf von Werder benannt, einem General aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, und hieß "Werderstraße". Sie endete an der "Kaiserstraße". Dort war zunächst nur freies Feld - und der Sportplatz des Rohrbacher Turnvereins. Die Bebauung war zunächst spärlich. Die Gemeinde Rohrbach baute an der Ecke zur Kaiserstraße ein Mietshaus: Werderstraße 2 und 4.

Turner-Mannschaftsfoto

Das ist die eine Variante - ist die Turnerstraße nach dem Platz des Turnvereins benannt? Hier ein Mannschaftsfoto auf dem Platz aus alten Tagen (Quelle: Privatarchiv)

1927 ging Rohrbach in Heidelberg auf und das Gebäude in den Besitz der städtischen Gesellschaft für Grund und Hausbesitz über. Mit der Eingemeindung von Rohrbach 1927 und der Wieblingens und Kirchheims, die schon 1920 erfolgten, gab es bei den Heidelberger Straßennamen etliche Doppelformen. Allein die Kaiserstraße gab es viermal. Die Werderstraße dreimal. Die Neuenheimer Werderstraße hatte die älteren Rechte, die Rohrbacher musste umbenannt werden. Ihren Querstraßen erging es ähnlich. Die Rohrbacher Bachstraße, Moltkestraße und Kaiserstraße heißen seitdem "Am Rohrbach", "Punkerstraße" und "Sickingenstraße". Die Werderstraße, die vom Markt zum Platz des Turnvereins von 1889 führt, nennt man seither "Turnerstraße".

Bild des Doppelhauses

Das Doppelhaus in Rohrbach stand mal in der Werderstraße. Später war die Adresse Heidelberg Turnerstraße. Zunächst trug es die Hausnummern 2 und 4, später 42 und 44, inzwischen 116 und 116a. An der Straßenkreuzung im Bildhintergrund endete bis in die dreißiger Jahre die Straße. Dort lag der Sportplatz des Rohrbacher Turnvereins.

Mitte der Dreißiger Jahre wurde im Zuge der Remilitarisierung Deutschlands auf den Feldern zwischen dem Stadtteil Rohrbach und der Weststadt die Großdeutschlandkaserne errichtet. Eine neue Straße, die zu deren Hauptportal führt, wurde angelegt: die Saarstraße. Bei dieser Gelegenheit führte man die Rohrbacher Straßen, die am Sportplatz endeten, bis hierher weiter. Die Turnerstraße wurde um etliches länger. Sie begann jetzt an der Saarstraße. Die Häuser nummerierte man neu. Aus dem abgebildeten Haus wurde Turnerstraße 42 und 44.

Luftbild Kaserne, Feld

Der neue Beginn der Turnerstraße ist auf einem Luftbild, das kurz nach dem zweiten Weltkrieg aufgenommen wurde, gut ersichtlich: Der Beginn der Turnerstraße ist am unteren Rand gut zu erkennen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten die Gebäude an der Saarstraße aus den Dreißiger Jahren die Vorlage für die weitere Bebauung der Südstadt. Die Turnerstraße aber wurde noch weiter über die Saarstraße hinaus nach Norden verlängert. Wieder wurde neu nummeriert. Aus der früheren Werderstraße 2 und 4 wurde Turnerstraße 116 und 116a. Der Sportplatz zwischen Nummer 114 und 116 wurde teils bebaut, teils in einen Park mit Spielplatz umgestaltet. Aus dem Turnverein 1889 Rohrbach wurde die TSG Rohrbach. Dass diese einen wichtigen Teil ihrer Geschichte an diesem Platz hatte, ist bei vielen vergessen. Nur ein Straßenname zeugt noch davon: Turnerstraße.

Portrait William Turner

Ist damit die Ableitung des Straßennamens vom Maler Turner widerlegt? Nicht ganz. Denn die Stadtväter haben im Umfeld der neuen Turnerstraße in der Südstadt mehrere Straßen nach Malern benannt. Sie erinnern an Karl Spitzweg, Veit Stoß, Franz Marc. Es entstand so etwas wie ein Malerviertel der Straßennamen. Und jetzt erinnert die Turnerstraße etliche von uns eben an William Turner. Er hat sich das ehrende Andenken mit seinen genialen Gemälden ja auch redlich verdient. Nur dass manche von uns deshalb die Turnerstraße "Törnerstraße" aussprechen - das hört sich für alte Heidelberger und Rohrbacher Ohren doch ziemlich befremdlich an.

Die RNZ hat in der Zwischenzeit recherchiert und bei der Stadt nachgefragt, ob die Straße nach den Turnern oder nach William Turner benannt sei. Wenn ich den Artikel richtig richtig verstanden habe, dann weiß man bei der Stadt sehr wohl um die Zusammenhänge der Benennung der Straße nach dem Rohrbacher Sportplatz, geht aber gleichzeitig davon aus, dass die Straße inzwischen nach William Turner benannt ist, und gibt das anscheinend im amtlichen Heidelberger Adressverzeichnis auch so an. So ganz verstehe ich das nicht. E bissel bleed find ich des schon. Ich hätte gerne gewusst, zu welchem Datum die Umstellung erfolgte, und seit wann wir damit die Turnerstraße korrekterweise "Törnerstraße" aussprechen sollten. Wirklich zu Turners hundertstem Todestag?

Damit man mich nicht falsch versteht: Mir ist es so oder so recht, ich will nur wissen, wie ich meine Sprechwerkzeuge einstellen soll, wenn ich den Namen der benachbarten Straße im Gespräch benutzen muss. Manchmal lässt sich das nicht vermeiden.

Das mit der stillschweigenden Straßenumbenennung hat schon was. Das lässt sich ausbauen und weiter entwickeln. Da gibt es zum Beispiel im Neuenheim zwei Straßen, von denen kaum noch einer weiß, nach wem sie benannt wurden. Die eine ist die Weberstraße. Wer weiß noch, dass sie nach Georg Weber benannt wurde, dem Heidelberger Schulmann und Historiker? Vielleicht ist ja in einem städtischen Verzeichnis in der Zwischenzeit schon eine klammheimliche Umbenennung erfolgt - oder sogar ganz offiziell durch den Gemeinderat? Vielleicht heißt die Straße ja seit den Fünfziger Jahren nach Max Weber - oder seit den Sechzigern nach Robert Weber, dem Nachkriegs-OB, oder seit den Neunziger Jahren der Frauenemanzipation nach Marianne Weber - oder wird sie in naher Zukunft nach Beate Weber benannt sein? Wer weiß. Ähnliches ließe sich ja auch mit der Schröderstraße machen. Mal sehen, was das amtliche Adressverzeichnis in zwanzig, dreißig Jahren da zu berichten weiß

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So eine schleichend aktualisierende Umbenennung ist ganz praktisch und bequem, erspart viele lästige Diskussionen. Aber eine wirkliche Ehrung ist damit für die Namensgeber nicht verbunden.

Eigentlich wird es dem durchschnittlichen Bürger ja egal sein, nach wem die Straße benannt ist, die Schröderstraße, die Weberstraße, die Sickingenstraße ... Bei der Turnerstraße ist das aber anders. Da ändert sich nämlich die Aussprache: Ist sie nach dem Rohrbacher Turn(er)platz benannt, dann muss ich sie treudeutsch aussprechen, ist sie nach William Turner benannt, dann geht das nicht, ich muss meinen Mund englisch spitzen und "Törnerstraße" sagen. Bei jedem Aussprechen des Straßennamens muss man sich neu entscheiden.

Das kann nun jeder so halten, wie er will. Aber so einfach ist das gar nicht. In der Südstadt ist die Bevölkerung in der Zwischenzeit gespalten in die, die den Straßennamen deutsch und die, die ihn englisch aussprechen. Die einen erinnern sich mehr oder weniger bewusst an die Rohrbacher Geschichte, die anderen lassen sich inspirieren von den benachbarten "Malerstraßen" Grünewaldstraße, Spitzwegstraße, Leiblweg, Lenbachweg und machen die Rohrbacher Turner zu einem englischen Maler und sprechen also von der Törnerstraße. Sollen Sie. Aber e bissel dabbisch is des schon, wenn man ins Stocken gerät bei einer Wegbeschreibung oder beim Angeben einer Adresse. Denn jede der beiden Fraktionen lacht insgeheim über das Unwissen der anderen und hält sie für ungebildet oder eingebildet. Es lässt sich feststellen: Je später der Zuzug in die Südstadt, desto törner die Aussprache des Straßennamens. Die Törnerfraktion wächst.

Ich selber hab mich entschieden, die Straße so lange weiter nach den Rohrbacher Turnern zu benennen, bis ich weiß, dass und wann der Gemeinderat sie offiziell umbenannt hat. Erst dann sag ich Törnerstraße. Falls die Straße wirklich insgeheim umbenannt wurde, aber vielleicht ohne offiziellen Beschluss, dann kann der Gemeinderat das innerhalb einer Minute heilen. Dann sag ich halt Törner. Verdient hat es der William Turner schon, dass man eine Straße nach ihm benennt. Lieber wäre mir aber, man nennt sie dann gleich "William-Turner-Straße", sonst kommt irgendwann noch jemand und behauptet, die Straße sei nach Lana oder Tina Turner benannt. Und wer weiß, wann das dann im amtlichen Adressverzeichnis steht.


Quelle: http://www.rnz-blog.de/html/rnzblog/index_bschwoebel.html#100000908