Eine Omage an die Selbstverständlichkeit der Kindheit

1999: Eine Mutter läuft mit ihrem Kind auf eine Straßenkreuzung zu. Einige Meter vor Erreichen der Straße packt sie ihr Kind leicht panisch an der Hand. Sie gehen zum Bordstein.

Mutter: "So. Wir schauen zuerst nach links (zeigt nach links), dann nach rechts (zeigt nach rechts) und dann wieder nach links. Können wir gehen?"

 

Gehorsam nickt das Kind und beide überqueren die Straße.

 

2015: Wir laufen auf eine Straße zu. 

Wir schauen nach links, alles klar es ist frei, machen einen Schritt nach vorne - hupen - und einen Satz zurück. 

Verdammt, Linksverkehr!

 

2002: Ein Vater und ein Kind betreten den Supermarkt. Schon beim Betreten steuert das Kind zielsicher auf die Müsli - Abteilung zu.

"Papa, können wir die Nugat-Bits dieses Mal mitnehmen? Aber nicht die von "JA", ich will die von "Kelloqs"."

- Sie landen im Einkaufswagen.

Als nächster Punkt wird das Kühlregal angesteuert.

" Ach Papa, ich hatte schon so lange keinen "Joghurt mit der Ecke" mehr, können wir den nicht noch mitnehmen?"

Und auch das kann der Papa seiner treu-äugigen Tochter nicht abschlagen und es landet im Einkaufswagen.

 

2015: Wir stehen vor der Früchte - Abteilung. Okay, wir brauchen Äpfel für unser Müsli. 

Verdammt: Die "Angebots-Äpfel" sind alle.

Nehmen wir jetzt 3 Kilogramm für 5 Dollar oder füllen wir welche ab für 1,29 Dollar pro Kilogramm.

Der Taschenrechner gibt die Antwort, die Royal Gala, dritte Wahl für 1,29 Dollar sind die billigeren. Wurmstellen kann man ja raus schneiden.

 

Auch das Müsli müssen wir noch kaufen. 

Zwischen all den Sorten landet zielsicher die "Budget"-Packung (neuseeländische "JA"-Marke) im Einkaufswagen.

Worte wie "Bio" und "Qualität" wurden bei uns auf einmal zweitrangig. 

 

An der Kasse drehen wir uns um und sehen hinter uns einen Vater mit seinem Sohn stehen. Der Kleine hält in seiner Hand, glücklich, eine riesige Packung der besten, teuersten Chocolat-Chip-Cookies. Unser Blick fällt auf unseren Einkauf.

Eine triste weiß-blaue Packung "Budget"-Kekse starren uns entgegen.

Sie sind zwar staubtrocken, aber Hauptsache süß.

 

Wir schauen uns an und seufzen schwer. Wehmütig denken wir an die schönen Tage zurück, an denen wir als die kleine Tochter mit unserem Vater an der Kasse standen und unsere Errungenschaften im Einkaufswagen betrachteten. Wir denken an all die Abende, wo wir den Kühlschrank öffneten und dieser gefüllt war, ohne unser finanzielles Zutun. An die Spritztouren mit dem Familienauto, wo unser Blick niemals auf die Tankanzeige fiel und wir besorgt durchrechnen mussten, ob wir es uns heute nochmal leisten können zu tanken. Wir denken an all die selbstverständlichen heißen Duschen, das warme Bett und die von Zauberhand wieder sauberen Klamotten.

 

Nun verkörpert dieser Junge all den unbewussten Luxus, der uns damals so natürlich vorkam.

Wir seufzen - Ja. Aber dies ist kein trauriges Seufzen. Es ist wehmütig, aber glücklich. Wir blicken zurück und sind froh, dass wir diesen Luxus erleben durften, ohne im Bewusstsein dessen zu sein.

Auch wenn wir uns nun selbst daran erinnern müssen an Straßen erst nach rechts- dann nach links - dann wieder nach rechts zu schauen. Auch wenn unsere Klamotten nicht von selber sauber werden und es uns vor steigenden Benzinpreisen graut, ist es schön auf eigenen Füßen zu stehen.

Auf unseren Füßen, die uns nur dahin tragen wohin wir wollen.

Es ist das Gefühl der Freiheit, der Eigenständigkeit, das uns durchströmt, wenn wir mit unseren von uns bezahlten Einkäufen in das von uns gemietete Wohnmobil steigen, um mit dem aus unserer Tasche gezahlten Benzin unseren Weg ein zu schlagen. Tief hinein in Neuseelands weite, bergige Landschaften.

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