Stolpersteinverlegung in Rohrbach am 28. Juni 2016

Bericht von Claudia Rink

Rohrbach gehört nicht erst heute zu den mehr als 500 Orten in Deutschland und Europa, an denen Stolpersteine liegen. Bereits 2011 wurden für die vom Naziregime aus politischen Gründen verfolgten und ermordeten Eheleute Käthe und Alfred Seitz in der Karlsruher Straße 46 Steine verlegt. Im März 2013 folgten Steine für die fünf sowjetischen Zwangsarbeiter, die am 28. August 1944 auf dem Werksgelände der Waggonfabrik Fuchs hingerichtet wurden. Seit vergangenen Dienstag, 28. Juni, erinnern nun 24 Stolpersteine an ehemalige jüdische Rohrbacher Bürgerinnen und Bürger, die vom Naziregime gedemütigt, verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

An sieben Verlegestellen: Karlsruher Straße 19, Kirschgartenstraße 103, Heinrich-Fuchs-Straße 41, Rathausstraße 3, 10, 41 und 64 wurden Steine vor den Hauseingängen in den Boden eingelassen. Während Günter Demnig diese Arbeit ausführte, wurden die Biografien der Opfer vorgetragen, ein Musikstück oder ein Gedicht ergänzten die kleine Zeremonie. Unter den aufmerksamen Zuschauer-innen waren auch jetzige Hausbewohner, denen das Schicksal der früheren Bewohner-innen ganz unbekannt war; umso größer war ihre Betroffenheit. Auch ein Nachkomme, Michael Trittelvitz, war mit seiner Frau gekommen, um bei der Verlegung der Stolpersteine für seine Großeltern in der Rathausstraße 3 dabei zu sein.

Zum Abschluss der Verlegung, die morgens um neun Uhr begann, fand um 17 Uhr im Alten Rathaus in Rohrbach eine Gedenkveranstaltung mit Wortbeiträgen und Musik statt: der 1. Vorsitzende des Stadtteilvereins Rohrbach, Hans-Jürgen Fuchs, machte deutlich, dass die jüdische Vergangenheit Rohrbachs spät aufgearbeitet wurde, erst anfang des neuen Jahrtausends. Claudia Rink, im Vorstand des Punker e.V. und Mitglied der Stolpersteininitiative, lenkte den Blick zurück auf die vergangenen Jahrhunderte, in denen jüdisches Leben neben christlichem Leben in Rohrbach möglich war. Auch wenn man, wie sie betont, vorsichtig sein muss, „denn es besteht leicht die Gefahr der Verklärung“ beim Blick zurück. „Wir wissen nicht, ob es ein freundliches Miteinander oder nur ein friedliches Nebeneinander war, indem die christliche Mehrheit mit den jüdischen Familien lebten.“ Die Rohrbacher Beispiele ließen jedenfalls beide Deutungen zu. Dr. Susanne Himmelheber sprach über die im öffentlichen Gedächtnis wenig bekannte „Polenaktion 1938“, bei der am 28. und 29. Oktober 1938 reichsweit bis zu 18 000 polnische Jüdinnen und Juden brutal aus Deutschland ausgewiesen und über die polnische Grenze abgeschoben wurden. Dazu gehörte auch die Rohrbacher Kaufmannsfamilie Storch genannt Stern, die in der Heinrich-Fuchs-Straße 41 wohnte. Keiner von ihnen überlebte. Die gut besuchte Veranstaltung wurde musikalisch von den Rohrbacher Musikerinnen, Martina Baumann und Anne Kloos, gestaltet. Am Schluss wurden vor dem Rathaus am Synagogenplatz die Namen der Menschen, für die an diesem Tag Steine verlegt wurden, verlesen.

Zu verdanken ist dieser Gedenktag neben der Stolperstein-Initiative Heidelberg, vielen Rohrbacher Bürgerinnen und Bürgern, verschiedenen Vereinen und Initiativen, die sich als Patinnen und Paten, als Bearbeiterinnen und Bearbeiter an der Vorbereitung und Finanzierung beteiligt haben. Für Rohrbach waren dies die Freiwillige Feuerwehr Rohrbach, der Stadtteilverein Rohrbach, der Punker e.V., Christoph Binder, Dr. Andreas Dienerowitz, Erica Dutzi, Brigitte Kettner und Gabi Steck.

Wer mehr wissen möchte, über die Menschen für die in Rohrbach Steine verlegt wurden, kann deren Biografien in einer dazu veröffentlichten Broschüre nachlesen, die die Initiative Stolpersteine Heidelberg herausgibt. Die Broschüren sind in der Buchhandlung Eichendorff, Karlsruher Straße 50 erhältlich. Die Stolperstein-Initiative trifft sich übrigens jeden 2. Dienstag im Monat um 19 Uhr in der VHS Heidelberg. Jeder, der interessiert ist, ist herzlich willkommen mitzuarbeiten. Auch wenn jemand eine Patenschaft übernehmen oder Vorschläge für weitere Stolpersteine machen möchte, kann er sich an diese wenden: www.stolpersteine-heidelberg.de

Stolpersteineverlegung in Rohrbach am 28/29. November 2011

Zur Erinnerung an Käthe Seitz (1894 – 1942)
und Alfred Seitz (1903 – 1942)

Nach der ersten Stolpersteinverlegung in Heidelberg am 12. Oktober 2010 wurden am 28. und 29. November 2011 weitere 21 Stolpersteine verlegt, davon zwei vor dem Haus Nr. 46 in der Karlsruher Straße in Rohrbach. Damit wurden 21 Heidelberger Opfern des NS-Regimes werden „die Namen zurückgegeben”, wie es der Künstler Gunter Demnig formuliert. Am Dienstag, 29. November 2011, 9.30 Uhr wurden die Gedenksteine für Käthe und Alfred Seitz vor ihrem ehemaligen Wohnhaus durch den Künstler selbst eingesetzt.

Käthe Seitz (1894 – 1942) und Alfred Seitz (1903 – 1942)
Biografie aus der Broschüre der Heidelberger Initiative Stolpersteine

files/bilder/2011/andere_aktionen/stolpersteinverlegung_111129/seitz_kaethe.jpgKÄTHE SEITZ, GEB. BRUNNEMER, geboren am 12. Februar 1894, war Mitglied der SPD und politisch aktiv. Sie war in zweiter Ehe verheiratet mit ALFRED SEITZ, geboren am 10. Februar 1903. Sie wohnten in Rohrbach in der Karlsruher Straße 46, in der Nähe des Arbeitsplatzes von Alfred Seitz, der in der Thoraxklinik Rohrbach als Krankenpfleger arbeitete.

Portraitfoto Alfred SeitzKäthe Seitz, geboren in Ludwigshafen, kam aus einer politischen Familie. Ihr Vater, Philipp Brunnemer, war der SPD schon 1890 beigetreten. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 wurden alle Parteien neben der NSDAP verboten. Es begann die Verhaftung zahlreicher Politiker, politisch anders denkende Menschen wurden bespitzelt und verfolgt. Vor allem Mitglieder der KPD und SPD
wurden in "Schutzhaft" genommen. Trotz dieser Gefahr begannen sich Widerstandsgruppen zu bilden. In Mannheim war der Schriftsetzer Georg Lechleiter, KPD-Funktionär, bis 1933 Landtagsabgeordneter und 1935 aus dem KZ Dachau entlassen, ein führender Kopf des Widerstands. Schwerpunkt waren Betriebe wie Lanz, BBC, Daimler-Benz und andere Firmen. Albert Fritz, ein Wegbegleiter von Georg Lechleiter, hatte die Aufgabe, in seinem Heimatort Heidelberg Verbindungen zu Gesinnungsgenossen zu knüpfen und auch den Kontakt zur SPD zu suchen.

Käthe Seitz war 1918 in die SPD eingetreten und in den 20er Jahren in der Stadt Cleve (heute Kleve) Stadtverordnete der SPD gewesen. Sie und ihr Mann Alfred, der nicht Mitglied der SPD war, fanden in Heidelberg Kontakt zur "Lechleiter-Gruppe" und beschlossen, an der Herausgabe einer Zeitung mitzuarbeiten. Wie aus einem Bericht von Emma Faulhaber, Ehefrau eines KPD-Mitglieds, hervorgeht, fand das entscheidende Gespräch am 22. Juni 1941 in Heidelberg in der Karlsruher Straße 46 statt zwischen Georg Lechleiter, Jakob Faulhaber, Gustav Süß und Käthe und Alfred Seitz. Der Name der Zeitung: DER VORBOTE – Informations- und Kampforgan gegen den Hitlerfaschismus. Herausgeber: KP.

Nach sehr langwierigen Vorbereitungen, denn diese mussten streng geheim erfolgen, und die Beschaffung von Matrizen, Farbe, Abzugsapparat usw. war äußerst schwierig, erschien die Zeitung im September 1941 das erste Mal in einer Auflage von 60-70 Exemplaren, die sich mit zunehmender Verbreitung auf ca. 200 Exemplare erhöhte. An der Herstellung der Zeitung waren u.a. beteiligt: Käthe Seitz erstellte die Matrizen in Heidelberg, den Transport der Manuskripte von Georg Lechleiter nach Heidelberg und den Rücktransport der fertigen Matrizen nach Mannheim erledigte Johann Kupka. Der damals 74jährige Vater von Käthe Seitz, Philipp Brunnemer, installierte in seinem Keller in Mannheim einen Abzugsapparat. Jakob Faulhaber kümmerte sich u.a. um den Vertrieb, Georg Lechleiter war für den Gesamttext verantwortlich. Vier Ausgaben der Zeitung erschienen im Herbst und Winter 1941. Die fünfte war für Ende Februar 1942 geplant, aber dazu kam es nicht mehr. Die Gestapo verhaftete am 26. Februar führende Köpfe der Organisation, einige Tage später wurden u.a. auch Käthe und Alfred Seitz verhaftet.

Am 14. Mai 1942 begann die Hauptverhandlung in der Strafsache Georg Lechleiter und andere wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofes im Mannheimer Gerichtsgebäude. Die Verhandlung führte der Vizepräsident des Volksgerichtshofes Karl Engert. Auf der Anklagebank saßen 14 Beschuldigte, einige waren in der Haft gefoltert und misshandelt worden. Der Prozess dauerte nur zwei Tage. Der Staatsanwalt forderte für 12 Angeklagte die Todesstrafe, für zwei langjährige Haftstrafen. In der Anklageschrift vom 21.4.1942, die den Beschuldigten vor der Verhandlung nicht zur Kenntnis gegeben wurde, heißt es u.a.:

»Die Angeschuldigten haben, vor allem im Jahr 1941 seit dem Ausbruch des Krieges gegen Sowjetrußland, am dem Aufbau einer kommunistischen Organisation in Mannheim mitgewirkt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit lag in der Herstellung und Verbreitung einer illegalen Druckschrift, des "Vorboten". Außerdem wurde mit dem Aufbau kommunistischer Zellen in Mannheimer Betrieben begonnen.«

Während der Verhandlung versuchte Käthe Seitz ihren Mann zu entlasten und erklärte, ihr Mann habe von ihren politischen Aktivitäten nichts gewusst. Alfred Seitz dagegen stand zu seiner Frau und erklärte "mit fester Stimme, er habe sein ganzes Leben mit seiner Ehefrau geteilt und wolle nun auch mit ihr in den Tod gehen." Das Gericht ging über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus und verkündete für alle 14 Angeklagten: Tod durch das Fallbeil.

Bejanntmacung der Hinrichtung

Nach dem Richterspruch wurden die 14 Widerstandskämpfer in das Stuttgarter Gerichtsgefängnis gebracht. Aus dem Gefängnis schrieb Käthe Seitz am 6.9.1942, acht Tage vor ihrer Hinrichtung, an ihre Tochter aus erster Ehe, Hilde Janssen:

»Geliebtes Kind, Deinen lieben Brief habe ich erhalten. Inzwischen bist Du vielleicht schon in Hagenau (Anm.: Zuchthaus Hagenau im Elsass). Du glaubst nicht, welch wahnsinnigen Schmerz es mir bereitet, Dich, mein liebes, lebenstüchtiges und gutes Kind, dort zu wissen. Es muß mir für mich wie für Dich das Eine Trost sein, Du bist es nicht allein. Dein Schicksal teilst Du mit vielen, vielen. Es ist heute an der Tagesordnung und wenn sie alle erwischt würden, die auch die Meinung bzw. Lügen der anderen mal interessiert ...«

Am Schluss des Briefes heißt es:

»Liebes, sei stark, wenn trotz menschlicher Werte es zum äußersten kommt, glaube mir, mein Lieb, mein Alles, Du, alles, auch das Leid, ist vergänglich. Und wenn wir uns doch noch wiedersehen, Herzlieb, so wird unser Glück unaussprechlich sein. Mein Lieb! Auf Wiedersehen. Innigst mein Lieb, Deine Mutti.«

Ihre Tochter Hilde Janssen wurde ebenfalls von der Gestapo verfolgt und zu Zuchthaus verurteilt wegen "Abhörens feindlicher Sender". Sie saß zum Zeitpunkt der Hinrichtung ihrer Mutter wahrscheinlich noch im Gefängnis in Mannheim. Sie verbüßte ihre Strafe im Zuchthaus Hagenau, konnte nach ihrer Freilassung aus dem Zuchthaus einer abermaligen Verhaftung entgehen, versteckte sich und überlebte den Krieg.

Am frühen Morgen des 15. Septembers 1942 wurden Käthe Seitz, ihr Mann Alfred und ihr Vater Philipp Brunnemer in Stuttgart hingerichtet.

Stolpersteine in der Karlsruher Straße

Die Broschüre der Heidelberger Initiative Stolpersteine können Sie hier nachlesen als PDF (2,5 MB) …