100 Jahre Melanchthonkirche
von Dr. Heiko Theißen
Photos: Gerhard Spraul / Hans-Jürgen Fuchs
Baugeschichte der Melanchthonkirche
An der Stelle des Turms der heutigen Melanchthonkirche, also da wo heute der Chorraum liegt, befand sich im 8. Jahrhundert die „Cella”, also die Behausung, eines Einsiedlers. Sie war wohl von den Einwohnern Rohrbachs als Kapelle genutzt worden und wurde Mitte des 14. Jahrhunderts zu einer Kirche vergrößert, indem im Westen ein Langhaus angebaut wurde, der Rundbogeneingang im Osten durch ein Spitzbogenfenster ersetzt und im Norden eine heute noch sichtbare Tür eingefügt. Im Jahr 1742 erfolgte eine Erhöhung des Daches sowie eine Erweiterung des Langhauses nach Westen und Süden, weswegen die Mittelachse heute nicht mehr in die Mitte des Chorraums zeigt.
Schon 1842 dachte man in Rohrbach über eine abermalige Erweiterung der Kirche nach oder sogar einen Neubau „mehr in der Mitte des Dorfes” und hatte hierfür auch die Zustimmung des „Unterländer Kirchenfonds”, der Kosten für Bau und Unterhalt der „Kirche mit allem, was dazu gehört”, zu tragen hatte. Hierunter verstand der Kirchengemeinderat auch den Kauf eines Grundstücks für einen Neubau, den die Oberkirchenbehörde einem Umbau vorgezogen hätte. Der Kirchenfonds allerdings sah beim Grundstückskauf die Gemeinde in der Pflicht, die zudem statt eines Neubaus die bestehende Kirche behalten und erweitern wollte. So kamen diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis.
In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts waren das Pfarrhaus renoviert und die ehemalige Pfarrscheuer in ein Gemeindehaus umgewandelt worden, wofür zwecks Schuldentilgung eine Ortskirchensteuer eingeführt worden war. Der Beschluss, auch die Kirche umzubauen, wurde am 23. Juli 1905 gefasst, es dauerte aber wegen Überlastung der Kirchenbauinspektion noch fast zwei Jahre, bis die Bauarbeiten beginnen konnten. Die Lohnsteigerungen während dieser Zeit und notwendig gewordene Zusatzarbeiten am Turmfundament sowie Kosten für die Luftheizung und die Orgelanschaffung erhöhten den Baukostenanteil der Gemeinde von 31.000 auf 38.000 Mark. Hierfür war die Ortskirchensteuer bereits erhöht worden.
Von Pfingsten 1907 bis September 1908 dauerten die Arbeiten, wobei die Querschiffe und die Sakristei angebaut wurden, das Langhaus nochmals verlängert und die Treppenhäuser zu den Emporen hinzugefügt. Die Zahl der Sitzplätze stieg dadurch von 400 auf 850. Der Turm wurde erhöht und erhielt einen neuen Helm.
Die Glasmalereien in der Melanchthonkirche
Im Zuge der Innenrenovierung wurden die Glasmalereien in die Fenster eingefügt. Sie stellen folgende Personen dar (links vorne beginnend):
- Philipp Melanchthon (1497–1560), Reformator im engsten Kreis um Martin Luther, von diesem 1518 als Griechischprofessor nach Wittenberg berufen, verfasste das Augsburger Bekenntnis und vertrat es auf dem Augsburger Reichstag 1530. Melanchthon ist die griechische Übersetzung seines deutschen Namens Schwarzerd.
- Martin Luther (1483–1546), Reformator, Doktor der Theologie in Wittenberg, löste 1517 mit seinen 95 Ablassthesen einen Konflikt mit der römischen Kirche aus, dessentwegen er exkommuniziert und 1521 auf dem Wormser Reichstag geächtet wurde.
- Friedrich der Weise (1486–1525), Kurfürst von Sachsen, Gründer der Universität Wittenberg, nahm Luther nach dessen Reichsacht in Schutz (Unterbringung auf der Wartburg).
- Johann der Beständige (1468–1532), Kurfürst von Sachsen, Initiator des Schmalkaldischen Bundes, eines militärischen Bündnisses von Fürsten mit Augsburger Bekenntnis.
- Gustav Adolf (1594–1632), König von Schweden, kämpfte im Dreißigjährigen Krieg auf protestantischer Seite gegen die kaiserlichen Truppen, fiel in einer Schlacht gegen Wallenstein.
- Paul Gerhardt (1607–1676), lutherischer Pfarrer und Kirchenliederdichter, wegen seiner kompromisslosen Haltung gegen den calvinistischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm des Amtes enthoben.
- Johann Hinrich Wichern (1808–1881), Gründer der Hamburger Erziehungsanstalt „Rauhes Haus”. Er prägte den Begriff „innere Mission” dafür, mit diakonischem Handeln auf kirchenferne Gruppen zuzugehen, um insbesondere die Arbeiter für nationale statt sozialistische Ideen zu gewinnen.
Glasfenster mit Phillipp Melanchthon
- Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760), nahm aus Mähren vertriebene Böhmische Brüder auf seinem Gut auf und gründete die Herrnhuter Brüdergemeine (die die täglichen Losungen herausgibt).
- Friedrich I. (1826–1907), Großherzog von Baden. Unter seiner liberalen Herrschaft wurde die Zivilehe eingeführt und der kirchliche Religionsunterricht im staatlichen Schulwesen.
- Carl Friedrich (1728–1811), Markgraf, Kurfürst und dann Großherzog von Baden. Als aufgeklärter absolutistischer Herrscher schaffte er die Leibeigenschaft ab.
- Wilhelm II. (1859–1941), letzter deutscher Kaiser. Sein Streben nach einem „Platz an der Sonne” für Deutschland endete im ersten Weltkrieg, nach dessen Niederlage er abdankte.
- Friedrich II. (1857–1928), Großherzog von Baden, Sohn von Friedrich I. und Luise von Preußen, dankte 1918 ab.
- Girolamo Savonarola (1452–1498), italienischer Bußprediger, reformierte sein Dominikanerkloster und rief in Florenz eine Theokratie aus. 60 Jahre nach seiner Hinrichtung wurden seine Schriften für rechtgläubig erklärt.
- John Wyclif (vor 1330–1384), englischer Pfarrer und Bibelübersetzer, der eine biblische Theologie vertrat und darum Ablass, Heiligenverehrung und Transsubstantiationslehre ablehnte, vom Konstanzer Konzil postum zum Ketzer erklärt.
- Jan Hus (um 1370–1415), tschechischer Reformator, der die Lehren Wyclifs in Böhmen verbreitete und dort als Nationalheld gefeiert wird. Kam unter freiem Geleit des Kaisers zum Konstanzer Konzil, wo er trotzdem als Ketzer verbrannt wurde.
- Petrus Waldes († zw. 1184 und 1218), Lyoner Kaufmann, der sein Vermögen verschenkte und eine Buß- und Armutsbewegung gründete. Wegen der Laienpredigt von der Inquisition verfolgt, siedelten die Waldenser in Alpentälern in Piemont und betreiben heute die einzige evangelische Fakultät Italiens.
- Ulrich Zwingli (1484–1531), Schweizer Reformator, der Bilder und Messgewänder, Liturgie und Orgel aus dem Gottesdienst entfernte und den Zürcher Rat zum Erlass eines „Sittenmandats” bewegte. Im Gegensatz zu Luther begriff er die Gegenwart Christi im Abendmahl nur symbolisch.
- Johannes Calvin (1509–1564), Begründer der reformierten (im Gegensatz zur lutherischen) Tradition. Seine Heimat Frankreich musste er wegen Verfolgung der Evangelischen verlassen, er wurde wegen seines Eifers auch aus Genf ausgewiesen.
- Ottheinreich (1502–1559), Kurfürst der Pfalz, wo er die Reformation einführte. Er gründete die Heidelberger Bibliothek und erweiterte das Schloss um den Ottheinrichsbau.
- Friedrich V. (1596–1632), Kurfürst der Pfalz, Haupt der protestantischen Union, floh im Dreißigjährigen Krieg in die Niederlande.
Die Glocken der Melanchthonkirche
Von den drei Glocken, die die Melanchthonkirche bei ihrer Einweihung vor 100 Jahren hatte, stammten zwei aus dem 18. Jahrhundert aus der Heidelberger Glockengießerei Speck: eine kleine mit dem Ton b und eine große mit dem Ton ges. Die dritte wurde 1899 in der Frankenthaler Glockengießerei Hamm gegossen und ergänzte die beiden älteren zu einem es-moll-Dreiklang. Vor dem Umbau 1907/08 empfand der Pfarrer Trautwein dieses Geläut als das „an unserem gesamten Kirchengebäude noch allein Würdige”.
Im ersten Weltkrieg musste die Gemeinde 1917 die Bronzeglocken an die Reichsregierung abliefern, lediglich die mit 375 kg kleinste wurde von dieser Beschlagnahme zurückgestellt, um noch als Läuteglocke dienen zu können. Die Entschädigung für das eingezogene Metall wurde noch um eine Prämie von 1 Mark/Kilo erhöht, weil die Glocken bereits im Juni 1917 abgeliefert wurden. 1920 wurden zum Ersatz zwei Gussstahlglocken mit den Tönen f und as in Bochum bestellt. Sieben Jahre später erlitt die älteste Glocke einen Sprung und musste durch eine neue Bronzeglocke (wiederum in b) ersetzt werden, wobei die Karlsruher Gebrüder Bachert die alte Glocke sozusagen in Zahlung nahmen.
Die Kombination dieser drei Töne ergab keinen Dreiklang wie vorher. Die Anregung, deshalb die a-Glocke durch eine c-Glocke zu ersetzen, fand allerdings erst 1994 ein Echo, als ohnehin umfangreiche Wartungsarbeiten am schmiedeeisernen Glockenstuhl unabwendbar geworden waren. Der Ältestenkreis entschied sich für die Anschaffung eines hölzernen Glockenstuhls. Pfarrer Krieg setzte sich dabei für die Erweiterung des Geläutes unter Verwendung von lauter Bronzeglocken ein. Die Heilbronner Firma Bachert erhielt den Auftrag für ein Geläut mit der Tonfolge es-as-c-f. Die Glocken erhielten die Namen „Liebe”, „Hoffnung”, „Glaube” und „Melanchthon”; wegen einer Kommunikationsfehlers wurde allerdings statt einer f- eine es-Glocke hergestellt. Der Vorschlag des Glockensachverständigen, die eigentliche gewünschte f-Glocke als fünfte Glocke (sogenannte „Gnadenglocke”) hinzuzufügen, wurde aufgegriffen, so dass die Melanchthonkirche nun ein Fünfergeläut aufweist.
Die größere der beiden Gussstahlglocken steht heute vor dem Eingang der Kirche, während die kleinere der Gemeinde St. Leon-Rot geschenkt wurde. Die Bronzeglocke von 1928 läutet heute für das Gemeindezentrum in der Heinrich-Fuchs-Straße.