Aktion Menschenkette - Seebrücke

  

Der punker hat gemeinsam mit der AG 'Asyl ror sagt ja', allen vorran Margret Krannich die Organisation der Menschenkette in Rohrbach übernommen. Startpunkt war der Rathausplatz, an dem sich gegen 11 Uhr ca. 150 Menschen einfanden. Muskalisch eingestimmt wurde die Aktion vom Nabakra sowie dem Trio I Cantori. Janick Pfitsch erläuterte schließlich die politischen, inhaltlich und menschlichen Aspekte in eindrucksvollen und bewegenden Worten. Einfühlsame und sehr persönliche Worte fand Marha Röter in Form eines poetry slam. Anschließend wurde die Kette gebildet, an der sich ca 250 Personen beteiligten und die (unter Wahrung des korrekten Coronaabstandes) bis fast zur Sickingenstraße erstreckte.

Eröffnungsrede von Janick Pfitsch

Liebe Brückenbauer*innen, liebe Zuhörer*innen, liebe Aktivisti,

wir stehen heute von Norddeutschland bis nach Italien, um an das Sterben im Mittelmeer zu erinnern. 1.103 Menschen sind in diesem Jahr bereits im Mittelmeer ertrunken. Das sind mehr als doppelt so viele als bis zu diesem Zeitpunkt letztes Jahr. Seit Mattheo Salvini, damals italienischer Innenminister der rechtsextremen Partei Lega, im Juni 2018 ankündigte, keine Geflüchteten mehr an Land zu lassen, gibt es keine staatlich organisierte Seenotrettung mehr. Während von Juni 2016 bis Juni 2017 noch über 90% der Geflüchteten auf dem Mittelmeer nach Europa gebracht wurden, wurden von Januar bis April 2019 ca. 65% von der sogenannten libyschen Küstenwache zurück nach Libyen verschleppt, wo sie in Lager gesperrt werden, in denen ihnen Folter und Vergewaltigung drohen, und 15% starben auf dem Mittelmeer oder werden vermisst, was wenn wir ehrlich sind, vermutlich das gleiche ist. Weil sich die Mitgliedsstaaten seit 2018/19 auf keine „europäische Lösung“ einigen können, was angesichts nationalistischer Politik einiger EU-Mitgliedsstaaten kein Wunder ist, wird Seenotrettung allein Nichtregierungsorganisationen überlassen. Sea-Watch, Sea Eye, SOS Méditerannée, Mission Lifeline und einige weitere. Mutige Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf eigene Faust etwas gegen das Sterben im Mittelmeer zu unternehmen. Der Satz, den ich gerade gesagt habe: Seitdem wird Seenotrettung allein Nichtregierungsorganisationen überlassen. Ich finde, er ist eigentlich schlimm genug und doch gleichzeitig eine maßlose Beschönigung. Denn Seenotrettung wird zivilen Seenotrettungsorganisationen nicht überlassen. Zivile Seenotrettungsorganisationen werden von staatlicher Seite massiv daran gehindert, Menschenleben zu retten, und zwischen all diesen Repressionen retten sie so viele wie sie können. Seenotretter*innen werden kriminalisiert, für das Retten von Menschenleben müssen sie juristische Folgen zu befürchten. Ständig lassen sich Regierungen neue Regeln einfallen, mit denen Seenotrettungsschiffen das Auslaufen verboten werden kann. Seenotrettungsschiffe werden festgesetzt, es wird nach irgendwelchen Kleinigkeiten gesucht, die dann bemängelt werden, die Boote müssen monatelang in irgendwelchen Häfen liegen bleiben, bis sie wieder auslaufen dürfen und kurz darauf wieder festgesetzt werden. Es ist jedes Mal das Gleiche. Gordon Isler, Vorsitzender von Sea-Eye sagte dazu: „Salvinis Gezeter [zur Erinnerung: also eine rechtsextreme Partei], war nicht so effektiv wie die Politik der aktuellen Regierung“. Effektiv in der Verhinderung von Seenotrettung. Argumentiert wird eigentlich immer mit der Sicherheit der Passagier*innen an Bord der Seenotrettungsboote, was makaberer kaum sein könnte: Weil  die Boot nicht sicher seien, lässt man die Menschen gleich sterben.

Nur ein Beispiel von vielen solchen Verhinderungsstrategien ist Horst Seehofers  Versuch von 2019, die Alan Kurdi von Sea-Eye endgültig aus dem Mittelmeer zu ziehen: Nachdem sie von italienischen Behörden wieder einmal festgesetzt wurde, weil sie zu wenige Toiletten und zu kleine Abwassertanks habe, forderte Seehofer Andreas Scheuer als Bundesverkehrsminister auf, sich der Argumentation Italiens anzuschließen. Dieser schrieb zurück, dass das nicht möglich sei, weil das zur Folge haben könnte, dass auch Schiffe der Bundeswehr nicht mehr auslaufen dürfen.

Das ist die unveränderte Situation von Seenotrettung der letzten Jahren. Ich habe vorhin gesagt, es gibt seit 2018/19 keine staatlich organisierte Seenotrettung mehr. Ich muss noch dazu sagen, dass Hauptaufgabe der Mission Sophia war, Schlepper auf dem Mittelmeer auszuschalten und die sogenannte libysche Küstenwache auszubilden, nicht die Rettung von Menschenleben, das war nur eine „Nebenaufgabe“.

Die sogenannte libysche Küstenwache bildet Europa mit der Mission IRINI übrigens weiterhin aus. Die Mission IRINI ist benannt nach einer Friedensgöttin und eigentlich zur Überwachung des UN-Waffenembargos, also einem Verbot von Waffenlieferungen an Libyen, initiiert worden. Im April diesen Jahres haben SPD, CDU/CSU und FDP, bei Enthaltung der Grünen, im Bundestag noch einmal bestätigt, dass die Bundeswehr im Rahmen der Mission auch „Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten der libyschen Küstenwache“ leisten soll. Die sogenannte libysche Küstenwache ist aber nichts anderes als kriminelle Milizen unter dem Deckmantel einer staatlichen Institution. Zu den kriminellen Machenschaften der bewaffneten Gruppen in Libyen gehört u.a. das Geschäft mit Flüchtenden, die über Libyen Europa erreichen wollen. Die Gruppen halten Flüchtende in Lagern gefangen, um Lösegelder zu erpressen. Laut den Vereinten Nationen drohen Flüchtenden in diesen Lagern Folter, Misshandlung und Vergewaltigung. Abgefangen werden Flüchtende u.a. illegal auf dem Mittelmeer von der „libyschen Küstenwache“, die Europa ausbildet. Allein in den ersten drei Monaten 2021 wurden 4.500 Flüchtende Opfer der „libyschen Küstenwache“.  Mittlerweile dokumentierte die zivile Seenotrettungsorganisation Sea-Watch filmisch, dass die „libysche Küstenwache“ bei ihren „Rückführungen“ durchaus auch auf Flüchtende schießt.

Unterstützt wird die sogenannte libysche Küstenwache bei ihren illegalen Rückführungen außerdem von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, die mit ihren Flugzeugen Boote mit Flüchtenden aufspüren und dann die sogenannte libysche Küstenwache informieren.

So dokumentierte die ARD-Sendung Monitor bspw., dass am 14. März 2020 FRONTEX um 8:00 Uhr ein Schlauchboot in Seenot sichtete. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei europäische Handelsschiffe in der Region, die in fünf bis sechs Stunden bei dem Schlauchboot hätten sein können. FRONTEX verständigte diese aber nicht. Stattdessen kam zehn Stunden später die sogenannte libysche Küstenwache und schleppte das Boot zurück nach Libyen, obwohl es sich schon seit Stunden in der maltesischen Rettungszone befand. Von dort die Flüchtenden zurück nach Libyen zu schleppen war illegal.

Mateo de Bellis von Amnesty International kommentiert dies: „Europa hat Schiffe durch Flugzeuge ersetzt, mit einem klaren Ziel: Es geht darum, Flüchtlingsboote zu sichten und die libyschen Behörden zu alarmieren, damit die den schmutzigen Job machen, die Menschen abfangen und zurück nach Libyen bringen. Das wäre für europäische Regierungen und Institutionen illegal. Es ist ein Trick oder Betrug, um internationales Recht zu umgehen“. Flugzeuge haben für FRONTEX folgenden makaberen Vorteil: Trifft ein Schiff auf ein anderes in Seenot, ist es nach Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Personen in Seenot zu retten. Für ein Flugzeug gilt das nicht.

Aber auch wo FRONTEX noch Schiffe einsetzt, halten sie sich nicht an geltendes Recht. Es ist vielfach belegt, dass FRONTEX an Pushbacks beteiligt ist. Schiffe fahren schnell an Schlauchbooten vorbei, um große Wellen zu machen, um die Flüchtenden so in türkische Gewässer abzudrängen. Die Grenzschützer*innen bringen Menschen so aktiv in Lebensgefahr. Außerdem sind diese Pushbacks illegal, weil es letztlich Abschiebungen sind, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen.

Auf die Frage nach staatlich organisierter Seenotrettung antwortete die baden-württembergische CDU vor der Landtagswahl der Initiative Sicherer Hafen Baden-Württemberg übrigens: „Auf Ebene der EU unterstützt Frontex die Bemühungen der Mitgliedsstaaten bei Seenotrettung.“ Was FRONTEX betreibt, habe ich gerade beschrieben. Die Antwort der CDU ist eine Frechheit.

Auch deutsche Polizist*innen sind für FRONTEX im Einsatz. Die Polizei Freiburg postete letzten Herbst „Schöne Grüße aus Griechenland sendet […] Kommissar Pauli“. Er sorge dort im FRONTEX-Einsatz für unsere Sicherheit. Dieser Anklang an das rassistische Narrativ von Geflüchteten als Gefahr, dieser postkartenartige Gruß aus dem Einsatz für eine Organisation die systematisch Menschenrechte verletzt. Muss ich aussprechen, wie ich das finde?

Wenn die Menschen es trotz FRONTEX, griechischer Grenzschützer*innen, sogenannter libyscher Küstenwache, und Verhinderung ziviler Seenotrettung nach Europa schaffen, sperrt Europa sie in Elendslager. In diesen Lagern an den Außengrenzen der EU, in Moria 2.0 und in Lipa in Bosnien haben die Menschen keine Duschen, kein warmes Wasser und viel zu wenige Toiletten (ich erinnere nur noch einmal an Seehofers Argument gegen die Alan Kurdi). Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson sagte, nachdem Moria letztes Jahr niedergebrannt ist, es werde keine weiteren Morias geben. Errichtet hat die EU ein neues, noch schlimmeres Camp. Lipa wird als Moria vor unserer Haustür bezeichnet und die Presse spricht davon, dass auf den Kanarischen Inseln noch ein drittes Moria entsteht, denn auch über den Atlantik, ebenfalls eine lebensgefährliche Fluchtroute, fliehen wieder mehr Menschen.

Auch an Land werden die Grenzen zunehmend militarisiert: Menschen, die vor den Zuständen in Bosnien fliehen, werden von der kroatischen Grenzpolizei, mit Hilfe von zehn Wärmebildgeräten im Wert von 350.000€, bezahlt von Deutschland und mit freundlichen Grüßen überreicht von Horst Seehofer, brutal verprügelt und ebenfalls illegal zurückdrängt. Die Festung Europa wird weiter und weiter ausgebaut. Es geht den regierenden Politiker*innen nicht um die Rettung von Menschenleben. Der CDU ist es am Wichtigsten, dass sich 2015 nicht wiederholt. Das war ihre lautstarke Reaktion auf die Ereignisse in Afghanistan. Mit dieser Aussage verbreitet die Bundesregierung ein rechtes Narrativ. Das Bundesinnenministerium prüft seit Wochen Listen von gefährdeten Personen in Afghanistan, während die Menschen auf den Listen ermordet werden. Das Bundesinnenministerium will schnellstmöglich wieder nach Afghanistan abschieben. Und alle Landesinnenminister*innen, sechs von der SPD und zehn von der CDU/CSU sind sich einig, dass es keine Landesaufnahmeprogramme für Menschen aus Afghanistan braucht. Übrigens warten wir in Baden-Württemberg auch noch auf ein Landesaufnahmeprogramm, das uns die Grünen und die CDU im Koalitionsvertrag versprochen haben.

Wir wollen keine Mauer um Europa.
Wir fordern sichere Fluchtwege. Aktuell aus Afghanistan und auch sonst, wo immer Menschen bedroht werden.
Und Seenotrettung ist verdammt nochmal kein Verbrechen.

Ich möchte mit einem Zitat der Band Kafvka enden:

„Anscheinend gibt es Menschen, die Menschenrechte verdienen
Und andere eben nicht aufgrund des Zufalls des Gebietes
In dem man geboren ist, und selbst dann schreiben Rassisten
Menschen wegen ihres Aussehens auf faschistische Listen
Es ist 2021 bleibt alles scheiße.“